Umwelt & Klima
Warum ich mich bei Fridays for Future und anderen Gruppen der Klimagerechtigkeits-bewegung engagiere, lässt sich vielleicht ganz gut in folgender Rede zusammenfassen, die ich im Mai 2019 in Jena gehalten habe. Sie ist wütend, man möge mir das angesichts der Tragweite der ökologischen Katastrophe, in die wir uns seit Jahrzehnten wissentlich steuern, verzeihen. Oder wie es Erich Kästner (freilich in anderem Zusammenhang) schrieb: "Man entschuldige meinen Ärger. Er hat den Vorzug, berechtigt zu sein."
Wisst ihr, ich habe es satt. Ich habe es satt, dass Fliegen billiger ist als Zugfahren. Ich habe es satt, dass ich als Radfahrer in Städten wie dieser hier an jeder zweiten Kreuzung gegen die StVO verstoßen muss, weil ich offensichtlich nicht vorgesehen bin, während immer mehr Autos mir die kollektiven Güter Raum und Atemluft ganz legal nehmen. Ich habe es satt, dass nach dem Kochen mehr Plastik im Mülleimer als Essen auf dem Teller landet. Habe es satt, mich auf Schritt und Tritt mitschuldig zu machen, weil das hinter all dem stehende System so grundlegend krank ist.
Und dann sagt man uns, wir seien doch frei, wir allein haben die Verantwortung für unser Tun! Was bitte ist daran frei, wenn ich mich im Markt zwischen Glyphosat-Billig-Fraß und ökologischen Produkten in Plastikfolie entscheiden darf? Ich hab es satt, dass Bio auf Zeug stehen darf, das um den halben Erdball geschifft wurde! Und ich habe es satt, dass die Leute dann auch noch glauben, das allein wäre schon nachhaltiger Konsum.
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Ich habe es satt, dass die Schuld systematisch nach unten verlagert wird: An uns. Na los, lebt doch nachhaltig! Gibt doch kein Gesetz in unserer ach so liberalen Welt, das euch das verbietet. Natürlich nicht, aber wenn es noch immer keinen bezahlbaren Bahnverkehr gibt, dein Dorf keinen Unverpacktladen hat, wenn du dir Bio vom Mindestlohn nicht leisten kannst? Wisst ihr, diese, ja: arrogante Behauptung, jeder könne sich doch ganz einfach für ein nachhaltiges Leben entscheiden, sie spielt all diejenigen kaputt, die das tatsächlich wollen: nachhaltig leben, aber dabei nicht zum Einsiedler werden möchten. Ich kenne inzwischen so viele Menschen, die psychische Probleme haben, weil sie dieses verfluchte unausweichliche Schuldgefühl nicht mehr loslässt, das hier jeden befallen muss, der ein bisschen was verstanden hat und der ein bisschen nachdenkt.
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Und besonders satt habe ich, dass das noch immer Keinen juckt. Dass die, die den Rahmen setzen könnten (und müssten!), um unsere Gesellschaftsordnung von vorgestern endlich auf heute einzustellen, mit schmerzhafter Kreativlosigkeit in den Formeln des letzten Jahrhunderts verharren: Wirtschaftswachstum. Arbeitsplätze. Steuerfreies Kerosin. Kohlesubvention. Im Angesicht der meines Erachtens so offenkundigen und zugleich gigantischen Aufgaben, die endlich nach umfassenden, radikalen Lösungen und nach mutigen Entscheidungen wie vielleicht noch nie zuvor verlangen, kommt man zu dem Schluss: „Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten.“ Ich fürchte, ich hab das schon erwähnt, aber: Ich habe es so satt.
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Ich habe dieses Denken satt, das alldem zugrunde liegt, in dem allein kurzfristiger, finanzieller Profit alles legitimieren darf. Folgen von Handlungen einberechnen? Verantwortung dafür übernehmen? Gar moralische Erwägungen anstellen? – das scheint echt out zu sein. Stattdessen wird nurmehr kurzsichtig, kalt, wirtschaftlich berechnet, Gewinn ersetzt Moral als die einzig relevante Legitimation für das Tun. Sagt mir: Wo kommt dieses Denken her? Und wie bitte geht das wieder weg?
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Am allermeisten hatte ich es bisher satt, dass ich dachte, ich wär der einzige, der das alles satt hat. Ich habe 2008 in meinem zehnten Schuljahr eine Facharbeit mit Thema „Klimawandel“ geschrieben. Ich kann berichten: Die Fakten lagen vor einem Jahrzehnt alle längst auf dem Tisch. Seitdem sind die globalen CO2-Emissionen weiter massiv gestiegen statt endlich zu fallen. Von den seither vergangenen elf Jahren gehörten fast alle zu den heißesten je gemessenen. Doch neben ein paar Schlagzeilen schien Gesellschaft und Politik all das wie in geistiger Umnachtung einfach nicht wahrzunehmen, totzuschweigen, und alles lief schlicht weiter wie bisher. Über die Jahre hatte ich resigniert, bin stumm geworden. Aber nun sehe ich hier und an so vielen anderen Orten des Planeten eine Meute an Menschen, viele davon ein Jahrzehnt jünger als ich; Menschen also, von denen es immer heißt, die starren doch nur auf ihr Smartphone, spielen Ballerspiele und kriegen nichts mit von der Welt. Und jetzt starten genau die so eine Umweltbewegung! Und fordern in einer Radikalität, wie es nur die Jugend kann, endlich ein Ende all jener Verbrechen, die ich schon ewig so satt habe! Wisst ihr, wie glücklich mich das macht!
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Man wirft uns vor, wir seien naiv. Ich sage: Ja, verdammt, wir sind naiv – und wir müssen naiv sein! Nur wer naiv ist, stellt die grundlegenden Fragen. Und so schief, wie hier vieles läuft, müssen die Grundfesten unserer Wirtschaftsordnung endlich einmal radikal hinterfragt werden. Das Schöne ist, und davon bin ich überzeugt: Unsere Naivität wird Recht behalten. Denn der Grundsatz der kapitalistischen Ideologie ist falsch, und er ist so offensichtlich falsch, dass er sich mit einfacher Grundschulmathematik widerlegen lässt: Er sagt: Unendliches Wachstum ist systemrelevant. Ich sage: Unser Planet ist nicht unendlich. Und das lässt für mich am Ende nur eine Schlussfolgerung zu: Wenn wir unsere Welt erhalten wollen, brauchen wir ein neues Denken, ein neues Reden, und letztlich ein neues Handeln!